"Hybride Formate? Ein Gamechanger für unseren Verein."

"Hybride Formate? Ein Gamechanger für unseren Verein."

Immer noch sind Kulturveranstaltungen zum Großteil nicht barrierearm. Der inklusive Berliner Verein Handiclapped – Kultur barrierefrei versucht, das bei eigenen Veranstaltungen zu ändern und gleichzeitig andere zur Nachahmung zu inspirieren. Wir haben mit Projektkoordinator Thorsten Hesse gesprochen. Interview: Marie-Claire Wygand

Digital Vereint: Thorsten, was müssen wir über euren Verein wissen?

Thorsten Hesse: Handiclapped – Kultur barrierefrei gibt es seit 2008. Wir haben uns gefragt: Warum gehen so wenig Menschen mit Behinderung zu Livekonzerten? Es gibt mehrere Gründe. Barrieren in Veranstaltungsräumen, die Auftrittszeiten sind spät, die Ticketpreise hoch. Wir machen daher Konzerte, die früh am Abend in barrierefreien Räumen stattfinden und günstige Eintrittspreise haben.

Inzwischen haben wir rund 350 Konzerte veranstaltet. Inklusion leben wir auch auf der Bühne, es spielen bei jedem Konzert Musiker:innen mit formal anerkannter Behinderung. Inzwischen richten wir auch Bandworkshops aus, alle zwei Jahre einen Fachkongress, haben eine eigene Onlineplattform für inklusive Musik (Pinc Music) und eine Radiosendung.

Digital Vereint: Wie finanziert ihr euch?

Thorsten Hesse: Unser Verein ist fast ausschließlich spenden- und projektförderungsfinanziert. Wir sind rund 40 Mitglieder und immer offen für neue Leute. Unser Kernteam besteht aus vier Köpfen: zwei sind hauptberuflich und zwei nebenberuflich dabei.

Digital Vereint: Wie habt ihr die Pandemie empfunden?

Thorsten Hesse: Konzerte in Corona-Zeiten mussten zunächst komplett ausfallen. Erst dachten wir über Livestreaming: „So ‘nen Scheiß machen wir nicht“ – aber dann entschieden wir uns doch dafür, weil die Alternative gewesen wäre, den Verein aufzugeben. Und es wurde gut angenommen! Normalerweise haben wir 50 bis maximal 200 Zuschauer:innen bei Konzerten, jetzt sind es im Schnitt mindestens 300 Views, manchmal auch über 1.000. Die Reichweite wächst, und auch zwei reine Onlinepartys haben gezeigt: Es funktioniert. Wir sind zu richtigen Fans von digitalen Veranstaltungen geworden und machen mittlerweile fast alle Veranstaltungen hybrid. Wir erreichen damit neue Zielgruppen und schaffen Barrieren ab, z. B. für Menschen, die nicht mobil sind oder nicht in Berlin wohnen.

handiclapped_1 Credit: Jens Kaufmann

Digital Vereint: Was ist das Besondere an Onlineveranstaltungen für euch?

Thorsten Hesse: In den Onlinepartys in der Pandemie gab es Musik zum Mitmachen und richtige Gänsehautmomente – Kinder haben selbstgemalte Plakate in Kamera gehalten, ganze Wohngruppen unter Diskokugeln getanzt. Auch toll ist: Wir inspirieren andere damit.

Digital Vereint: Das klingt ja nach dem Gegenteil von Social Distancing, wenn Menschen durch Onlineformate zusammenrücken.

Thorsten Hesse: Das stimmt, die Leute werden zusammengebracht. Es sind auch ganz neue Formate entstanden wie Onlinetreffen für Bands. Für uns als Verein hat es sich als Gamechanger herausgestellt, alles hybrid zu machen – nun erreichen wir ein viel größeres Publikum. Aber auch bei den ersten Vor-Ort-Veranstaltungen, die stattfinden konnten, sind Menschen in Tränen ausgebrochen, die lange isoliert waren. Gerade in Wohngruppen war das ja ein großes Problem in der Pandemie. Auch für viele Bands war es herausfordernd, sich erstmals nach längerer Pause wieder richtig auf die Bühne zu trauen.

Digital Vereint: Was tut ihr in puncto Community Building?

Thorsten Hesse: Wir versuchen, eine Community zu bauen, auch durch unsere Webseite, auf der Akteur:innen inklusiver Musik in Berlin vorgestellt werden. Unser Netzwerk Pinc Music gibt deutschlandweit inklusiven Bands die Chance, sich in barrierefreie Formulare einzutragen, um sich vorzustellen und zu vernetzen. Das bewerben wir jetzt, um die Bands auch bei Festivals und Konzertveranstaltungen unterzubringen und die gesamte Musikszene so inklusiver zu gestalten.

Digital Vereint: Wie sah euer digitaler Weg bisher aus?

Thorsten Hesse: Unsere Website gibt es seit circa zehn Jahren, Facebook kam für Veranstaltungsankündigungen hinzu, dann vor wenigen Jahren Instagram, Twitter und LinkedIn. Mit den verschiedenen Kanälen erreichen wir unterschiedliche Gruppen: Politiker:innen und soziale Träger, die über Fördertöpfe entscheiden, über Twitter; LinkedIn hilft bei der Vernetzung mit der Musikwirtschaft und Kontakten aus alten Jobs. Instagram ist eine sehr bildlastige Plattform, die sich für unsere Formate anbietet und das nach und nach aussterbende Facebook ablöst. Für einen guten Kontakt zum Publikum ist aber beides noch wichtig.

Eine neue Stelle in Teilzeit für PR, Webseite und Social Media haben wir vor rund einem halben Jahr geschaffen. Unser Instagram-Publikum hat sich seitdem vervielfacht, weil wir jetzt mehr Sharepics teilen und mehr Akteur:innen verlinken, damit kommen Synergieeffekte besser zum Tragen – die sich auch in besser besuchten Konzerten widerspiegeln. Aber das erfordert eben auch mehr Ressourcen.

handiclapped_2 Credit: Jens Kaufmann

Digital Vereint: Wie viel eurer internen Zusammenarbeit findet digital statt?

Thorsten Hesse: Wir nutzen die Google Cloud, Zoom, WeTransfer und einen GoPro-Account – hier überwiegen immer der praktische Nutzen, die Barrierearmut und intuitive Bedienbarkeit den Wert von Datenschutzkonformität. Wir wollen, dass auch Menschen, die sich mit Technik nicht gut auskennen, mitmachen können.

Digital Vereint: Und auf welche Hürden stoßt ihr?

Thorsten Hesse: Vor allem fehlende Zeit ist ein Problem. Wir könnten das noch besser, aber bräuchten mehr Zeit und Leute dafür, weil wir zu viele Projekte haben. Aufwand und Ertrag müssen in einem guten Verhältnis stehen und gute Social-Media-Arbeit beispielsweise lässt sich nicht mal eben aus dem Ärmel schütteln. Da ändert sich ja laufend was und wir müssen immer am Ball bleiben.

Digital Vereint: Wie messt ihr den Erfolg dabei?

Thorsten Hesse: Onlineklicks und -views sind wichtig für die Sichtbarkeit des Vereines, der Veranstaltungen und der Bands. Letztlich ist natürlich auch die Zahl der Gäst:innen bei den Konzerten eine wichtige Größe.

Digital Vereint: Gibt es ein Erfolgsrezept, das du teilen kannst?

Thorsten Hesse: Auf jeden Fall hat uns die Zusammenarbeit mit unserer Kooperationspartnerin MusicTech Germany geholfen, einem Zusammenschluss kleiner Unternehmen der Musiktechnologie. Sie halfen bei unserer Digitalstrategie, unterstützen uns bei Hackathons und Onlinepartys und haben unsere Onlinestrukturen entwickelt. Daneben investieren wir kleine Beträge in Werbung, teils auch, um Menschen zu erreichen, die uns bereits folgen – das erfordert der Algorithmus.

Digital Vereint: Hast du weitere Tipps für Vereine, die sich digital etablieren wollen?

Thorsten Hesse: Barrieren müssen auch in digitalen Inhalten mitgedacht und verringert werden. Das bedeutet, Alt-Texte zu schreiben und eine einfache Sprache zu verwenden, um inklusiver zu werden, mehr Leute zu erreichen. Gerade Texte im Kulturbereich sind oft verkopft und kompliziert. Wir sollten Alternativen schaffen. Denn viele Barrieren existieren schon bei der Ankündigung kultureller Veranstaltungen, hat eine Umfrage von uns gezeigt. Oft gibt es im Vorfeld sogar noch mehr Barrieren als bei Veranstaltungen an sich! Die müssen wir abschaffen.