Der Honig & die Digitalisierung

Wie der Imkerverein Reinickendorf-Mitte mit digitalen Hybridlösungen die Imkerei und das Vereinsleben neu gestaltet.

Foto: Daniel Lucas Faró

Wer bei Bienen und Digitalisierung zuerst an ein dystopisches Szenario mit zerstörerischen Bienen-Drohnen aus der Serie Black Mirror denkt, der sollte sich mal mit Melanie von Orlow unterhalten. Als 1. Vorsitzende des Imkervereins Reinickendorf-Mitte leitet sie einen der größten und ältesten Imkervereine Berlins und weiß längst, wie die Imkerei sich digitale Tools zunutze machen kann.

Das war aber nicht immer so. Als Melanie von Orlow vor sechs Jahren das Amt der Vorsitzenden übernahm, wurden Vereins-Prozesse vorwiegend analog geregelt - Kommunikation fand per Brief statt. Gleichzeitig verzeichnete der Verein Rekordzuwachs, denn Imkern liegt gerade in Großstädten im Trend. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Mit den vielen neuen Mitgliedern ging ein enormer Verwaltungsaufwand einher. Einer Idee des damaligen Vorstands folgend, hatte Melanie von Orlow bereits zuvor in ihrer Funktion als Kassenwartin mit der Digitalisierung der Vereinsarbeit begonnen, indem sie ein Lastschriftverfahren für die Zahlung der Mitgliedsbeiträge einführte. Ohne weiteres ging das nicht: “Ich hatte noch nie in meinem Leben ‘ne SEPA angelegt. Bis das alles umgestellt war, war das sehr kompliziert. Ein langer Kampf”, erzählt sie. Als diese Hürde genommen war, erkannte die Imkerin, wie viel Arbeit auf einmal wegfiel. Keine Mahnungen mussten mehr verschickt und lediglich gelegentliche Rücklastschriften samt zugehöriger Kosten von säumigen Mitgliedern eingefordert werden. Ein aktiver Verein lebt von Ehrenamtlichen. Die große Chance der Digitalisierung, das wurde Melanie von Orlow in diesem Moment klar, liegt in der Entlastung der engagierten Mitglieder, die die Vereinsarbeit häufig zusätzlich zu Vollzeitjobs leisten.

Nach der Einführung des Lastschriftverfahrens folgte eine eigene Vereinswebsite mit passwortgeschütztem Mitgliederbereich. Der Vorteil: Hier können die Mitglieder eigenständig ihre Daten eintragen, einsehen und aktualisieren. Eine große Erleichterung, ganz reibungslos läuft das aber bis heute nicht. Nach wie vor gibt es einige ältere Mitglieder, die keine E-Mail-Adressen haben. E-Mail-Adressen sind aber unbedingt notwendig, um einen Account im Mitgliederbereich zu erstellen. Melanie von Orlow geht das Problem aktuell eher pragmatisch an und nutzt vereinseigene Emailadressen mit einem Auto-Responder um etwaige Anfragende über die Unerreichbarkeit des Angesprochenen zu informieren. Über kurz oder lang, da ist sie sich sicher, wird dieses Problem sich aber von selbst lösen.

Auch sonst denkt sich Melanie von Orlow Einiges aus, um die Zusammenarbeit im Imkerverein zeitgemäß und innovativ zu gestalten. Auf der Website gibt es unter anderem eine von ihr angelegte interaktive Bienenstandskarte. Auf der Karte kann man genau sehen, welche Bienenstände in der Nähe sind und ob die Besitzer:innen zum Beispiel das Icon “Mitimkern” aktiviert haben - also andere Imker:innen einladen, sie an ihrem Bienenstand zu besuchen um gemeinsam zu imkern.

Nebenbei behält Melanie von Orlow die Akquise neuer Mitglieder im Auge. Imkern kann man schließlich auch alleine, da muss sie sich die Frage stellen: “Warum sollten Leute dem Verein beitreten?” Um den Beitritt in den Verein attraktiv zu gestalten, setzt sie auf zwei Strategien: Fachliche Informationen und Infrastruktur. Konkret sieht das so aus, dass die Imkerin Expert:innen für Vorträge einlädt und nebenbei auf dem Gelände des Imkervereins eine Schleuderanlage für die Honigproduktion und das Aufreinigen von Wachs einrichtet. Geplant ist, dass die Mitglieder dort zukünftig, sobald sie eine Schulung absolviert haben, über Smart-Locks Zugang zu der Schleuderküche bekommen. Die funktioniert komplett über Fernwarte, denn:

“für den Posten des Schlüsselwarts finden sich im Verein in der Regel keine Freiwilligen”.

Gerade in der Corona-Krise zeigte sich, wie gut digitale Lösungen das eigentlich so analoge Hobby Imkern ergänzen können. Als sich im Frühjahr 2020 abzeichnete, dass bis auf Weiteres keine Anfängerkurse stattfinden konnten, nahm Melanie von Orlow an der Digitalisierungskampagne der Deutschen Stiftung Engagement und Ehrenamt teil und bewarb sich erfolgreich für Fördermittel. Mit diesen Mitteln konnte sie einen neuen Anfängerkurs konzipieren und eine Personenführungsanlage kaufen. Am Lehrbienenstand stehen die Bienen jetzt in Corona-gerechter Entfernung zueinander, alle Teilnehmer:innen können mit Abstand imkern und erhalten über einen Kopfhörer Instruktionen. An sich, so Melanie von Orlow, sei Imkern das perfekte Corona-Hobby, denn Imkern kann man alleine und an der frischen Luft.

Foto: Daniel Lucas Faró
Foto: Daniel Lucas Faró

Was natürlich fehlt, ist das gemeinschaftliche Vereinsleben. Auch hier setzt Melanie von Orlow auf Hybrid-Lösungen. Weil Vereinsabende während der Pandemie nicht wie üblich Dienstagabends im Vereinslokal stattfinden können, haben die Mitglieder bei gutem Wetter die Möglichkeit sich Samstagnachmittags auf dem Vereinsgelände im Freien zu treffen und mit Sicherheitsabstand gemeinsam imkern. Solange Treffen nur virtuell möglich sind, organisiert sie eben Videokonferenzen.

Kopfschmerzen bereitet ihr aktuell noch die nahende Mitgliederversammlung, die in diesem Jahr digital stattfinden soll. Vor allem wichtig ist hier die Frage nach der Möglichkeit einer sicheren Online-Abstimmung. Mit Datenschutz kennt sich Melanie von Orlow gut aus, da hält sie sich regelmäßig auf dem Laufenden und fragt sonst im NABU nach, wo sie hauptberuflich arbeitet. Nur ein passendes, sicheres Tool für die Abstimmung hat sie noch nicht gefunden.

“Im Großen und Ganzen sind wir hier in Berlin hinsichtlich Digitalisierung gut aufgestellt”,

sagt Melanie von Orlow zufrieden. Sie ist sich allerdings bewusst, dass das vor Allem an ihr liegt: Sie treibt den digitalen Wandel im Verein mit viel Energie voran. Grundsätzlich sei das digitale Know-How im Verein in den letzten Jahren besser geworden, aber für die Zukunft wünscht sich Melanie von Orlow dennoch mehr Interesse der Vereinsmitglieder an digitalen Themen. Irgendwann wird schließlich jemand ihre Nachfolge im Vorstand antreten müssen.